Cam Date – Teil 2
Deshalb stand also bei mir zuerst einmal ein gewaltiges Aufräumen an, um alles auch wirklich präsentabel zu machen. Denn man will sich ja schließlich beim ersten Date von seiner besten Seite präsentieren, auch wenn es nur ein Cam2cam Date und noch kein ganz „richtiges“ Date ist.
Das brauchte Zeit, bei dem Chaos, das sich in meinem Arbeitszimmer im Laufe der zeit angesammelt hatte.
Auf der anderen Seite wollte ich sie natürlich auch so schnell wie möglich treffen, wenn auch bloß per Cam2cam. Das klappte so gut zwischen uns, dass ich schon richtig kribbelig war, so wie man sich halt fühlt, wenn man beginnt, sich zu verlieben. Und dann wird man ja extrem ungeduldig und kann es einfach nicht erwarten, den anderen zu hören, etwas von ihm zu lesen oder ihn zu sehen. Unter den Umständen wird jede Wartezeit, auch eine kurze, zur echten Qual.
Da bot sich einfach der nächste Tag als Kompromiss an.
Das gab mir nach der Arbeit einen ganzen Abend Zeit, an meinem Schreibtisch Ordnung zu schaffen.
Und zu meiner Beschämung muss ich zugeben, ich habe den Abend auch tatsächlich gebraucht.
Von fünf Uhr nachmittags bis weit nach Mitternacht habe ich Papiere sortiert, zum Teil weggeworfen, was längst in den Papierkorb gehörte, zum Teil einsortiert. Ich habe dabei einiges gefunden, was ich schon lange vergebens gesucht hatte. Ordnung halten oder schaffen hat doch so seine Vorteile, habe ich dabei festgestellt und mir vorgenommen, mich in Zukunft etwas mehr daran zu halten und gar nicht erst wieder eine solche vollkommene Unordnung einreißen zu lassen. Es macht halt das Leben einfacher, wenn man gleich auf Anhieb ordentlich ist. Wenn das bloß nicht so furchtbar schwer wäre, diesen Vorsatz in die Tat umzusetzen!
Außer haufenweise Zetteln und Papieren habe ich alte Kaffeetassen weggeräumt, allen möglichen Krims und Krams weggeschafft, die Regale um den Schreibtisch herum etwas ordentlicher gemacht – schließlich sieht man je nach Winkel der Cam ja eine ganze Menge auch von der Umgebung der Cam -, den Fußboden endlich von leidigen alten Papierstapeln befreit, die ins Altpapier gehören, und am Schluss dann alles ordentlich staubgewischt und staubgesaugt.
Die Schreibtischplatte inklusive meiner leicht eingestaubten Tastatur habe ich sogar richtig geschrubbt. Das blitzte und glänzte am Schluss alles wie neu; ein schöner Anblick, musste ich zugeben.
Am Ende habe ich mich umgesehen, alles für gut bis hervorragend befunden, und bin ins Bett gefallen; mittlerweile sogar zu müde, mich auf das Cam2cam Date vom nächsten Tag zu freuen.
Als der Wecker am nächsten Morgen viel zu früh wie immer klingelte, war ich zuerst total erledigt und grantig. Zu wenig Schlaf verursacht bei mir immer ganz furchtbar schlechte Laune.
Aber dann kam doch sehr schnell eine irre Vorfreude auf das Cam2cam Date auf, die mich den ganzen Tag begleitete. Und mit jeder Stunde, jeder Minute, die verging, noch größer wurde.
Und ab Mittag fing ich auch an, richtig nervös zu werden, ob ich ihr auch wirklich gefalle, ob es Cam2cam genauso bei uns funktioniert wie im normalen Chat ohne Cam oder beim Telefonieren, was aus uns werden sollte, wenn ja, und alle möglichen Fragen und Bedenken hatte ich.
Dann allerdings sorgte mein Job auf unangenehmste Weise für Ablenkung. So wie ja meistens im Leben etwas dazwischenkommt, wenn man etwas gut geplant hat und sich auf etwas sehr freut.
Ich bin Außendienstmitarbeiter in einer mittelständischen Firma. Eigentlich hatte ich all meine Termine so geplant, beziehungsweise sie waren ohnehin schon so geplant, dass ich ohne Probleme um halb fünf zu Hause sein konnte, mich noch in aller Ruhe duschen und umziehen, raus aus den Geschäftsklamotten und rein in etwas Legeres, damit ich ihr nicht so steif und förmlich gegenübertreten musste, und mich dann pünktlich um halb sechs bei ihr melden.
Eigentlich hätte es sogar für etwas zu essen zwischendurch gereicht; Hunger hatte ich auf jeden Fall.
Stattdessen machte ein aufgeregter oder vielmehr verärgerter Kunde der Firma einen großen, dicken Strich durch meine Rechnung.
Er rief mich total aufgelöst per Handy im Auto an, als ich gerade zu meinem letzten Kundentermin fuhr, und beschwerte sich darüber, eine Lieferung sei angeblich noch nicht eingetroffen.
Also musste ich nach meinem letzten Kundentermin, der immerhin erfreulich schnell und zügig über die Bühne ging – wenigstens etwas, was klappte nach dieser telefonischen Beschwerde – noch mal schnell in die Firma zurück, um das Schicksal dieser Lieferung aufzuklären.
Dabei stellte sich heraus, unsere Spedition, die unsere Waren immer zu den Kunden transportiert, hatte geschlampt, und das Zeug lag noch immer dort herum, obwohl es schon seit Tagen hätte ausgeliefert sein sollen. Ich war saumäßig wütend und beschloss, mich gleich darum zu kümmern. Drum verschiebe nicht auf morgen, was du heute kannst besorgen – oder so ähnlich.
Ich also auf in die Spedition, um denen ganz persönlich und sofort Dampf zu machen, denn wenn man nicht wirklich selbst dahinter ist, dann funktioniert das meistens nicht, und ich hatte keine Lust, mich morgen weiter mit dem also zu Recht verärgerten Kunden herumzuschlagen, bloß weil andere Mist gebaut hatten. Die Situation jetzt war schlimm genug
Ich beaufsichtigte höchstpersönlich das Aufladen der Ware in der Spedition und verabschiedete mich mit dem festen Versprechen in der Tasche, dass man in der Spedition ganz definitiv und hundertprozentig alles noch am gleichen Abend beim Kunden auszuliefern wollte.
Ja, und nun musste ich ja noch mal zum Kunden, damit er das Gefühl hatte, ich nehme seine Probleme ernst, und um persönlich die Missstimmung wieder zu bereinigen, die ohne meine Schuld aufgekommen war. So ein Kundenservice gehört einfach dazu, bei einem guten Außendienstler.
Zum Glück wohnte dieser Kunde wenigstens bei uns in der Stadt, der Weg war also nicht allzu weit.
Wieder gut Wetter zu machen, das gelang mir dann auch, aber um die gute Stimmung wieder herzustellen, musste ich mich natürlich ein Weilchen bei diesem Kunden aufhalten, und gerade als ich gehen wollte, kam dann noch tatsächlich die versprochene Lieferung von der Spedition.
Danach war natürlich alles erst recht geklärt und in Butter, aber nun musste ich halt noch danebenstehen bleiben und zusehen und mir den überschwänglichen Dank des Kunden anhören.
Als ich mich endlich verabschieden konnte und nach Hause düsen konnte, war es schon Viertel nach fünf.
Um Punkt sechs traf ich in meiner Wohnung ein; denn natürlich hatte ich unterwegs auf der kleinen Strecke von vielleicht mal gerade zwei Kilometern erstens eine richtige Rotphase bei den Ampeln, und zweitens einen kleinen Stau. So ist das ja immer, wenn man es mal wirklich eilig hat.
Tja, da war es ja nun nichts mehr mit noch Duschen, mich Umziehen, etwas essen und ein bisschen entspannen vor dem großen Cam2cam Date, so wie ich mir das ganz fest vorgenommen hatte.
Ich musste genau so, wie ich war, vor die Cam treten.
Meine Güte, was war ich aufgeregt auf einmal!
Aber auch wenn es jetzt schon kurz nach halb war, eine Sache konnte ich nun wirklich nicht aufschieben. Ich musste noch einmal ganz dringend aufs Klo. Ich musste eigentlich schon bei meinem Kunden, aber bei dem wollte ich mich natürlich nicht mit einer Sextanerblase blamieren.
Okay, also ich aufs Klo, mich hastig noch mal im Spiegel betracht – das Ergebnis war nicht ganz so gut, wie mir das lieb gewesen wäre, aber das war ja nun jetzt auch nicht mehr zu ändern, ich musste es einfach darauf ankommen lassen, und die Zeit drängte, denn unpünktlich zu einem Date sein, auch wenn es zu einem Cam2cam Date ist, ist einfach nur peinlich.
Sie hatte auch prompt schon auf mich gewartet, war aber gar nicht sauer über die paar Minuten Verspätung und hörte sich sogar mein Lamentieren über die blöde Spedition aufmerksam an.
Wir redeten und redeten, ich wurde immer entspannter, und als nach fast zwei Stunden unser Cam2cam Date zu Ende war, stand für mich fest, diese Frau muss ich auch real kennenlernen. Dafür ist mir kein Weg zu weit.
Das schrieb ich ihr noch schnell in einem Mail.
Ja, und dann endlich konnte ich mich umziehen.
Und dabei stellte ich fest, die ganze Zeit, während ich Cam2cam mit ihr geplaudert hatte, so dass sie es wirklich auch sehr genau hatte sehen können, war mein Hosenstall ganz weit offen gewesen …